Offener Brief an Prof. Dr. Karl Lauterbach

als Stellungnahme zum „großen Treffen mit Verbänden in der Langzeitpflege“ vom 29. Juli 2022

 

Carmen Kurz-Ketterer

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Lauterbach,

wir begrüßen es sehr, dass Sie den politischen Diskurs mit der praktischen Welt suchen. In Ihren Social Media Kanälen zeigen Sie ein Bild des Treffens mit dem Beitragstext „Heute großes Treffen mit Verbänden in Langzeitpflege: AWO, Diakonie, Johanniter, Caritas, bpa u.v.a.m.; Für Herbst bereiten wir große Kampagne zum Schließen der Impflücken und für schnelle Behandlung mit Medikament Paxlovid vor. Gemeinsam wollen wir COVID-Tote in Pflege verhindern."

Vor allem über das „u.v.a.m." sind wir gestolpert. Wir finden leider keine Informationen zu den Verbänden, welche noch geladen waren. Ebenso haben wir keine Einladung erhalten. Als Bundesverband, der ausschließlich die ambulante Pflege vertritt, hätten wir diese erwartet.

Sie treffen sich zu einem, für uns enorm relevanten, Thema mit Verbänden und vergessen dabei die Hälfte aller Pflegeeinrichtungen. Schließlich teilt sich der Anteil der Pflegeeinrichtungen zu gleichen Teilen auf stationäre und ambulante Einrichtungen auf.
Als Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pflege e.V. (ABVP e.V.) vertreten wir mit unserem Spezialwissen den gesamten Berufszweig der ambulanten Pflege.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass durch die Gespräche mit den Mischverbänden (mit Mitgliedern aus beiden Bereichen - stationär und ambulant) oft die stationären Themen Vorrang haben.
Ist es aber doch in Deutschland ein von der Regierung heraus gegebener Grundsatz „ambulant vor stationär", so können wir zurecht erwarten in die Gespräche mit einbezogen zu werden.

Auch zu den Ergebnissen des großen Treffens finden wir bisher keine Informationen. Daher möchten wir gerne durch diesen offenen Brief Stellung zu zumindest fünf wichtigen Punkten beziehen und Ihnen hiermit die Informationen weitergeben, welche Sie unbedingt in Ihre Entscheidungsfindung mit einbeziehen sollten.

Zum Medikament Paxlovid:
Die Vergabe von Medikamenten und auch das Vorhalten dieser ist in einem stationären Bereich sicherlich einfacher als in der ambulanten Pflege. Dies ist aber nicht der entscheidende Punkt, der eine Vergabe für uns so schwierig gestaltet.

Antivirale Therapeutika (Paxlovid – Nirmatrelivir) und deren Verschreibung sind und bleiben nach derzeitigem Stand Arztsache. Daher macht es für uns keinen Sinn Depots in unseren Büros anzulegen. Bei positiv getesteten, vulnerablen Patient:innen, die Symptome aufweisen, muss ein Arzt konsultiert werden. Auch, wenn wir über Fachkenntnis zur Medikamentenvergabe verfügen, sollte nur der behandelnde Arzt Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beurteilen.
Es ist unbedingt zu beachten, dass unter den vulnerablen Gruppen auch an Demenz erkrankte Menschen sind. Die Entscheidung über medizinische Leistungen und Medikamentenvergabe liegt hier bei den Angehörigen oder einer definierten Person. Auf die Ethik sollte weiterhin geachtet werden.
Sollen die Medikamente verschrieben und vergeben werden, ist es dringend notwendig, die Schulungen und Information über die Ärzte erfolgen zu lassen. Hierzu gehört eine Bedarfsmedikation und eine Bedarfsverordnung mit Aufklärungsbogen für Patient:innen und angehörigen Personen. Dies muss auch in der Patientenakte hinterlegt werden.

Weiterhin befürchten wir, dass diese Maßnahme ähnlich wie die Tarifpflicht aus der Gesundheitsreform 2022, nicht durch die Kassen refinanziert wird. Zum heutigen Stand schließen Krankenkassen eine Refinanzierung von Bedarfsmedikation durch die ambulante Pflege aus. Soll diese Verordnung in der Praxis umgesetzt werden, müssen die Kassen vor in Kraft treten der neuen Gesetze in die Pflicht genommen werden. Sonst ergeht es uns so wie mit der Einführung eines Tarifvertrags. Wir sind verpflichtet, einem Tarifvertrag anzugehören oder uns einem anzulehnen, doch die Kranken- und Pflegekassen lehnen die Refinanzierung der steigenden Löhne flächendeckend ab. Die ambulante Pflege wird also für Inhaber:innen und / oder Patient:innen durch die Verordnungen und Gesetzte schlichtweg zu teuer.

Mobile Impfteams sind wichtig und weiterhin notwendig. Doch wie soll dies in der ambulanten Pflege umgesetzt werden? Mobile Impfteams können natürlich zu stationären Einrichtungen fahren. Wir können uns zum derzeitigen Stand noch nicht vorstellen, dass diese Maßnahme für die ambulante Pflege umsetzbar ist. Denn dies würde bedeuten, dass mobile Impfteams zu unseren Patient:innen nach Hause kommen müssten. Ist dieser Schritt angedacht? Viele unserer Patient:innen sind bettlägerig und können nicht zu einem Impfbus gebracht werden.
Allerdings ist das Impfen unserer Patienten immer noch die bessere Lösung als die Verlängerung der Impfpflicht für pflegendes Personal.
Wir bitten weiterhin von der Impfpflicht abzusehen. Unsere Berufsgruppe leidet unter einem akuten Personalmangel. Dieser wurde durch diverse Corona-Verordnungen verschärft. Den traurigen Höhepunkt erreichten wir mit der Impfpflicht für unser Personal. Es gibt weiterhin Personen, die sich gar nicht oder nicht wieder impfen lassen möchten. Viele unsere Mitarbeitenden klagen nach der dritten Impfung über diverse Beschwerden und Nebenwirkungen, die sie davon absehen lassen, sich ein weiteres Mal impfen zu lassen. Die große Kündigungswelle wurde uns durch das Personal bereits angekündigt, sollte die Impfpflicht über den 31.12.2022 hinaus gehen. Wir können uns nicht mehr erlauben auch nur eine pflegende Person zu verlieren. Wir gehen davon aus, dass wir an dieser Stelle nicht nur für den ambulanten Bereich, sondern auch den stationären Bereich inkl. Krankenhäuser sprechen.

Zur Überarbeitung der Hygienemaßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen möchten wir gerne ein paar Passagen aus unserer bereits erfolgten Stellungnahme wiederholen:
Hygienemaßnahmen sind bereits vor Corona erste Pflicht in der ambulanten Pflege. Wir behandeln schon vor der Pandemie hoch ansteckende Patient:innen mit Viruserkrankungen.
Diese Maßnahmen werden regelmäßig vom Medizinischen Dienst überprüft und bewertet.
Das soll nicht im Geringsten diese Krankheit relativieren. Jedoch haben wir während der Pandemie bereits viel umgestellt und noch einmal verbessert, um nicht nur unsere Patient:innen, sondern auch unser Personal zu schützen. Jede weitere Verordnung benötigt auch immer Zeit für Schulungen. Zeit, welche wir auf Grund eines Personalmangels nicht haben. Jede weitere Verordnung bedingt, dass diese Zeit für unsere Patient:innen verloren geht. Aber wir versorgen nicht nur, sondern umsorgen unsere Patient:innen auch. Oft ist dies ein wichtiger Teil unserer Arbeit, der zwar nicht refinanziert wird, aber für den pflegebedürftigen Menschen enorm wichtig ist. Immer mehr Zeit für die verschiedensten Maßnahmen aufzuwenden, hat die Folge, dass hier zeitlich zuerst eingespart werden muss.
Verordnungen werden teils auf kleinster föderaler Ebene erlassen. Auf städtischer Ebene können die Verordnungen schon anders sein, als auf Kreis- oder Landesebene.
Wenn also die Überarbeitung der Maßnahmen, die bisher geltenden einzelnen Verordnungen ablösen soll, sind wir gerne bereit diesen Weg auf Bundesebene mitzugehen. Wenn es wieder nur eine weitere Gesetzeslage ist, welche eingehalten werden soll, obwohl so vieles schon besteht, gleicht dies für uns einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Ein weiteres Statement betrifft die Testungen der Patient:innen. Die Kasse refinanziert uns nicht nach aufgewendeter Zeit, sondern nach erbrachter Leistung. Bei manchen Patienten überwachen wir ausschließlich die Medikamentenvergabe, bringen Essen oder überprüfen Blutdruck- sowie Blutzuckerwerte. Die Patient:innen sind außer dieser Leistung noch allein fähig ihr Leben zu bestreiten. Die Covid-Testung dauert pro Patient mindestens 15 Minuten, da der Test erst nach einer viertel Stunde das Ergebnis anzeigt. Eine Zeit, in der wir bei manchen Patient:innen eigentlich schon wieder im Auto sitzen und auf dem Weg zum nächsten pflegebedürftigen Menschen sind. Für die ambulante Pflege ist diese Maßnahme also nur bedingt umsetzbar. Bitte überdenken Sie diese Maßnahme dahingehend noch einmal. Wenn die Kassen oder andere Institutionen in die Pflicht genommen werden und die Refinanzierung der Ressourcen (Zeit und Wareneinsatz) gewährleistet wird, gehen wir auch diesen Schritt gerne mit. Allerdings können wir diesen ohne eine Zusage der Refinanzierung nur schwer leisten.

Zum Schluss bleibt zu sagen, dass wir keineswegs gegen Schutzmaßnahmen agieren. Aber wir müssen realistisch und praxisnah bleiben. Der geplante 7-Punkte-Plan zum Schutz vulnerablen Gruppen, ist für uns nicht praktikabel. Daher bitten wir Sie noch einmal dringend, auch uns mit in die Gespräche einzubeziehen und den Grundsatz „ambulant vor stationär" weiterhin zu beachten.
Wir befürchten vor allem, dass durch diesen Plan wieder Mehraufwände entstehen, deren finanzielle Last wieder allein uns zukommt. Wir bitten Sie das nicht falsch zu verstehen. Selbstverständlich sind wir bereit, unseren Teil zur Bekämpfung der Pandemie beizutragen. Ebenso wie wir die Tarifpflicht begrüßt haben. Wir haben in beiden Themen immer alles in unserer Macht stehende getan, um die Maßnahmen umzusetzen und sind vom Bundesministerium für Gesundheit alleine gelassen worden. Keine Maßnahme ist in die Praxis umsetzbar ohne hohe Verluste einzufahren oder aber die Kosten auf die Patient:innen umzuschlagen.
Ambulante Pflege wird durch die staatlichen Entscheidungen für immer weniger Menschen bezahlbar. Dabei sollten wir endlich wieder den Grundsatz „ambulant vor stationär" in den Vordergrund stellen und diese Entscheidung wirklich den Patient:innen und nicht deren Geldbeuteln überlassen.
Der ABVP e.V. zeichnet sich durch den Einsatz für die ambulante Pflege in politischen Diskussionen sowie Verhandlungen mit öffentlichen Einrichtungen aus. Dabei stehen die ambulanten Dienste und deren Patient:innen im Fokus. So ist es nur selbstverständlich für den Verband sich ebenso für den gesamten Berufsstand einzusetzen.
Pflege darf nicht zum Luxus werden. Der ABVP e.V. fordert in der logischen Konsequenz eine Deckelung der Zuzahlungen, wie im stationären Bereich, die nicht auf Kosten der Pflegedienste und -kräfte gehen darf.
Wir verbleiben in Erwartung einiger Antworten und hoffen in Zukunft auf eine bessere Zusammenarbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand des ABVP e.V.